SCHIELE UND KRUMAU

S, obr: 42S, obr: 45

 

Kaum ein anderer Ort inspirierte Egon Schiele so wie Krumau, eine der schönsten Renaissancestädte Europas und architektonisches Juwel ersten Ranges. Schönheit und Lage inmitten der böhmischen Kulturlandschaft machten diese Stadt seit jeher zum Anziehungspunkt für Maler und Schriftsteller.

Auch Schiele war von Krumau, der Geburts- und Heimatstadt seiner Mutter zeitlebens begeistert; er kannte die kleine Stadt bereits seit seiner Kindheit von Verwandtschaftsbesuchen und auch die Ferien während seiner Akademiezeit verbrachte er in Krumau. Schon 1906 zeichnete er eines seiner Jugendwerke nach einem hiesigen Motiv: "Das Budweiser Tor in Krumau"; es sollte die früheste bekannte Landschaftsdarstellung Schieles werden.

Nach der Ausbildung begann er, seine eigenen künstlerischen Formen und Inhalte - ausgehend vom Jugendstil und fasziniert vom Expressionismus - zu entwickeln, was ihm vorerst weder finanziellen Erfolg noch gesellschaftliche Anerkennung brachte.

Der Großstadt Wien müde, bezog Schiele im Mai 1910 in Krumau - in der Fleischgasse 133 - Quartier, um ein neues "Malerleben" zu beginnen, gefolgt von seinen gleichgesinnten Kollegen Erwin Osen und Anton Peschka. Die drei jungen Künstler erregten durch ihr unkonventionelles Auftreten bald Aufsehen bei der kleinstädtischen Bevölkerung, trotzdem dachte Schiele daran, sich ganz in Krumau niederzulassen. Dieses an der Moldau gelegene Städtchen mit seinen ineinander geschachtelten Häusern und alten Mauern reizte ihn malerisch, wobei er immer wieder den Blick auf seine Motive von erhöhten Punkten aus suchte. Viele seiner schönsten Städte- und Landschaftsbilder entstanden hier.

Schiele war fast ohne Geld nach Krumau gekommen, obwohl er in der kleinstädtischen Umgebung nicht damit rechnen konnte, genügend Bilder für seinen Lebensunterhalt zu verkaufen. So fuhr er im Herbst 1910 wieder nach Wien zurück und verbrachten den Winter dort. Er nützte die Zeit für die Kontakte zu seinen Gönnern und Auftraggebern: u.a. Arthur Roessler, Otto Wagner, Josef Hoffmann und Oskar Reichel.

Im Mai 1911 übersiedelte Schiele mit seiner Lebensgefährtin Wally Neuzil - früheres Modell von Gustav Klimt - nach Krumau; begeistert bezogen sie das Gartenhaus des kunstsinnigen Kaufmanns Max Tschunko, wo Schiele endlich auch im Freien arbeiten konnte. Das idyllische Treiben in der Künstlerklause fand jedoch ein rasches Ende. Das in wilder Ehe lebende Paar sowie die Tatsache, dass Schiele sehr junge Mädchen Modell sitzen ließ, empörte die Kleinstädter derart, dass er sich gezwungen sah, Krumau im August 1911 wieder zu verlassen: "Ich will nicht an Krumau denken, so lieb habe ich die Stadt, aber die Leute wissen nicht, was sie tun."

Dennoch kehrte er immer wieder für kürzere Aufenthalte nach Krumau zurück, skizzierte die Architektur seiner "Stadt am blauen Fluß" und verarbeitete sie in seinem Wiener Atelier zu großformatigen Krumauer Stadtvisionen.