DOKUMENTATION
Familie - Kindheit
1890 - 1905
Egon Schiele wird am 12. Juni 1890 in Tulln (i.d. Nähe Wiens) geboren. Die Schieles wohnen im Tullner Bahnhofsgebäude, Egon wächst dort mit seinen Schwestern Melanie und Gertrude auf, die älteste Schwester Elvira stirbt bereits 1893 im Alter von zehn Jahren.
Der Vater, gebürtiger Wiener, ist Stationsvorsteher der k.k. Staatsbahnen, der Großvater gehörte zu den Bahnbaupionieren und erbaute die böhmische Westbahn Prag - Eger. Die Mutter (geb. Soukup), 1861 in Krumau geboren, stammt aus einer südböhmischen Bauern- und Handwerkerfamilie.
Von frühester Kindheit an zeichnet und malt der Junge mit Begeisterung. Schiele besucht die Volksschule in Tulln, das Realgymnasium in Krems und das Gymnasium in Klosterneuburg.
1905 stirbt der Vater. Schieles Onkel Leopold Czihaczek (aus Mähren stammend) übernimmt die Vormundschaft. Der Ingenieur und Oberinspektor der k.k. Staatsbahnen strebt, ganz im Sinne des Vaters, für Egon ein Studium an der Technischen Hochschule an. Einige von Schieles Lehrern setzen sich jedoch für seine künstlerische Laufbahn ein. In Klosterneuburg malt Schiele bereits 1905 seine ersten Gemälde.
Studium - Wiener Akademie
1906 - 1910
1906 besteht Schiele die Aufnahmsprüfung an der Akademie der bildenden Künste in Wien; er besucht die allgemeine Malklasse von Professor Christian Griepenkerl, einem konservativen akademischen Maler der Jahrhundertwende. Es kommt zu Konflikten zwischen dem reaktionären Lehrer und dem rebellischen Schüler, die sich derart zuspitzen, dass Schiele im April 1909 zusammen mit einigen gleichgesinnten Kollegen die Akademie verlässt und die "Neukunstgruppe" gründet. Der Kunstkritiker der Wiener Arbeiterzeitung Arthur Roessler wird auf Schiele aufmerksam; er ist in den folgenden Jahren sein wichtigster Förderer.
1907, während seines Studiums, lernt Schiele Gustav Klimt, den gefeierten Meister der Wiener Secession, kennen. Der siebzehnjährige Schiele sieht in dem 45-jährigen Klimt seinen geistigen Vater. Anfangs noch unter dem Einfluss von Klimt, löst sich Schiele schon Ende 1909 und entwickelt seine ganz eigene künstlerische Handschrift.
Schiele beteiligt sich 1909 zum ersten Mal an einer öffentlichen Ausstellung, im Stift Klosterneuburg. Im gleichen Jahr stellt er auf der Wiener "Internationalen Kunstschau" aus. Es kommt u.a. zu Kontakten mit Sammlern, Verlegern sowie den Architekten Otto Wagner und Joseph Hoffmann; letzterer leitet die Wiener Werkstätte (1903 gegründete Gemeinschaft zur Förderung von Kunst und Handwerk), für die Schiele in den Jahren 1909/10 zeitweise tätig ist. Die wichtigste Auftragsarbeit für die Wiener Werkstätte ist das Bildnis "Poldi Lodzinsky", ursprünglich als Glasfenster für das Palais Stocklet in Brüssel geplant, aber als solches nie ausgeführt.
Es folgen zahlreiche Ausstellungen in österreichischen und deutschen Galerien. Die Kritiker reagieren unterschiedlich. Manche erkennen das Geniale, die Mehrzahl aber kritisiert seine Arbeiten, einer bezeichnet sie als "Auswüchse eines kranken Hirns".
Krumau
1910 - 1911
Schieles Sehnsucht nach der Natur des Böhmerwaldes, nach Krumau, dem Geburtsort seiner Mutter, wächst. Schon 1906 hat er sein erstes Bild nach einem dortigen Motiv, "Das Budweiser Tor in Krumau", gemalt. Bis zu seinem Lebensende wird ihn die Stadt in seinen Themen beeinflussen.
Am 12. Mai 1910 reist Schiele mit seinen Malerfreunden Anton Peschka und Erwin Osen nach Krumau und fasst den Entschluss, sich dort endgültig niederzulassen.
Ein Jahr später, im Mai 1911, findet Schiele in Krumau ein kleines Gartenhaus an der Moldau und übersiedelt mit seiner Lebensgefährtin Wally Neuzil, die er zuvor als Modell Gustav Klimts kennen lernte. Es entstehen Stadt- und Phantasielandschaften; einsame, beseelte Darstellungen verwinkelter Häuser, die Schiele ebenso eindringlich porträtiert wie seine lebenden Modelle.
Das Krumauer Leben verläuft eine Zeit lang friedlich. Schiele besucht sein Stammlokal, das Café Fink (an der Ecke des Laterans und der Pivovarská-Gasse), und die Stadt stellt ihm für großformatige Gemälde ihren größten Saal zur Verfügung. Häufig sind Kinder der Umgebung zu Besuch im Gartenhaus sowie sein exzentrischer Malerfreund und "Mime" Erwin Osen.
Die Idylle in der Provinz hält nicht lange an: den konservativen Bürgern der Stadt missfällt Schieles freier Lebensstil und vor allem die Tatsache, dass er nach den Modellen halbwüchsiger Mädchen Akte zeichnet. Die anfängliche Freundlichkeit schlägt in offene Feindseligkeit um: er ist gezwungen, die Stadt bis zum 6. August 1911 zu verlassen. Schiele kehrt jedoch immer wieder zurück, allerdings wohnt er dann in den Gasthöfen "Zur Stadt Wien" und "Zum Goldenen Engel". Die Atmosphäre der Stadt durchzieht seine Werke; Bilder mit Titeln wie "Tote Stadt" oder "Gelbe Stadt" spiegeln seine Faszination wider. 1917 wird eine der letzten bekannten Krumauer Zeichnungen - "Alte Giebelhäuser in Krumau vom Schloßberg aus"- entstehen.
Die Neulengbach - Affäre
1912
Nach der Abreise aus Krumau lässt sich Schiele mit Wally Neuzil in Neulengbach am Stadtrand von Wien nieder. Sie genießen die ländliche Umgebung und profitieren von der Nähe zum künstlerischen Leben der Hauptstadt, zu Sammlern und Käufern.
Schiele zeigt seine Arbeiten in zahlreichen Ausstellungen, u.a. im Budapester Künstlerhaus (mit der "Neukunstgruppe"), bei Goltz in München (zusammen mit dem "Blauen Reiter"), im Museum Folkwang in Hagen, im "Wiener Hagenbund" und im Kölner "Sonderbund". 1911 ist er bereits Mitglied der Münchner Künstlergruppe "Sema", der auch Klee und Kubin angehören.
Ein schwerer Einschnitt erfolgt, als Schiele am 13. April 1912 in das Bezirksgericht Neulengbach vorgeladen und wegen angeblicher Ent- und Verführung einer Minderjährigen in Untersuchungshaft genommen wird. Zuvor wurden in seinem Haus so genannte unsittliche Zeichnungen beschlagnahmt. Ende April wird der Künstler dem Kreisgericht St. Pölten überstellt und schließlich am 7. Mai zu drei (bereits verbüßten) Tagen Arrest wegen "Übertretung gegen die öffentliche Sittlichkeit" verurteilt. Die schwer wiegenden Anschuldigungen stellen sich als unhaltbar heraus, die in seinem Atelier hängenden Aktzeichnungen werden jedoch als gegen die Sittlichkeit verstoßend betrachtet und sind für die Verurteilung ausreichend. Am Ende der Verhandlung wird im Gerichtssaal angeblich ein Mädchenakt zeremoniell verbrannt.
Obwohl es sich mehr oder weniger um eine Provinzposse handelt, hinterlassen diese Ereignisse bei Schiele einen schweren Schock. Während der 24-tägigen Gefängniszeit entstehen dreizehn seiner eindrucksvollsten Blätter.
Wien
1912 - 1914
Nach den Ereignissen in Neulengbach unternimmt Schiele Reisen nach Kärnten und Triest. Er kehrt nach Wien zurück und wohnt dort vorübergehend bei seiner Mutter. Im November findet er eine geeignete Atelierwohnung in der Hietzinger Hauptstraße 101, in der er bis zu seinem Tod arbeiten wird.
Schieles Ansehen wächst kontinuierlich, vor allem außerhalb Österreichs. In den Jahren 1913 und 1914 beteiligt er sich an Ausstellungen in Budapest, Köln, Dresden, München, Berlin, Düsseldorf, Brüssel, Paris und Rom - und er ist zum ersten Mal in der Wiener Secession, dem berühmten Ausstellungshaus der österreichischen Avantgarde, vertreten. Ende 1914 stellt er in der Wiener Galerie Arnot aus.
Von 1913 bis 1916 veröffentlicht Schiele Arbeiten und Gedichte in der von Franz Pfemfert herausgegebenen Berliner Wochenschrift für Politik, Literatur und Kunst "Die Aktion". 1916 erscheint eine Sondernummer als "Egon Schiele Heft" mit Holzschnitten und Zeichnungen des Künstlers.
Nachdem die Münchner Künstlervereinigung "Sema" 1912 in einer ihrer Mappen Schieles erste Lithografie "Männlicher Akt" (Selbstbildnis) veröffentlicht hat, empfiehlt ihm Roessler - in der Hoffnung auf bessere Verkäuflichkeit von druckgrafischen Blättern -, bei dem Maler und Grafiker Robert Philippi Unterricht in Radierung und Holzschnitt zu nehmen. Schiele arbeitet im Sommer 1914 kurze Zeit in diesen Techniken, empfindet sie jedoch im Vergleich zum Zeichnen als zu langwierig; es bleibt bei einigen wenigen druckgrafischen Werken.
1914 entsteht eine Serie eigenwilliger Porträtfotos, auf denen Schiele stets in gestellter Pose zu sehen ist, aufgenommen von dem Wiener Fotografen Anton Josef Treka nach den Vorstellungen von Schiele.
Heirat - Militär
1914 - 1918
Im Frühjahr 1914 beginnt die Freundschaft mit den beiden Schwestern Adele und Edith Harms, die gegenüber von seinem Atelier wohnen. Schiele wirbt ernsthaft um Edith. Sie ist drei Jahre jünger als er und hat eine strenge Klostererziehung genossen. Er trennt sich von Wally, die sich daraufhin freiwillig als Rot-Kreuz-Schwester zum Kriegsdienst meldet; sie stirbt 1917 an Scharlach.
Nach dem Kriegsausbruch 1914 wird Schiele zweimal zurückgestellt. Bei der dritten Musterung 1915 wird er für diensttauglich erklärt. Vier Tage vor seiner Einberufung, am 17. Juni, heiratet er Edith Harms. Am 21. Juni tritt er seinen Militärdienst in Prag an, in Begleitung von Edith, die sich im Hotel "Paris" einquartiert. Edith folgt ihm auch nach Neuhaus in Böhmen, wo er seine Grundausbildung durchläuft. Schiele wird in der Nähe Wiens als Bewachungssoldat eingesetzt und erhält die Erlaubnis, seine freie Zeit in der Wiener Atelierwohnung zu verbringen. 1916 ist er als Schreiber des Offiziersgefangenenlagers Mühling in Niederösterreich tätig und zeichnet die dort internierten russischen Offiziere. 1917 erfolgt seine Versetzung zur "k.k. Konsumanstalt für die Gagisten der Armee" in Wien mit dem Auftrag, sämtliche Dienststellen der Monarchie für eine Festschrift in Zeichnungen festzuhalten. Als er schließlich 1918 ins Heeresmuseum versetzt wird, kann er sich vermehrt seiner künstlerischen Tätigkeit zuwenden.
Durch die Fürsprache prominenter Förderer konnte Schiele vom Dienst an der Waffe freigestellt werden und seinen Kriegsdienst in administrativen Dienststellen ableisten. So war es ihm möglich, in den Kriegsjahren eine große Anzahl von Werken zu schaffen, darunter einige seiner bedeutendsten Gemälde. Seine Sonderstellung erlaubt ihm auch, weiterhin in Österreich, Deutschland und Skandinavien auszustellen.
Das letzte Jahr
1918
Am 6. Februar 1918 stirbt Gustav Klimt, Egon Schiele zeichnet ihn auf dem Totenbett. Im März soll die 49. Ausstellung der Wiener Secession eröffnet werden, deren Präsident Klimt war. Schiele organisiert diese Gruppenausstellung und entwirft das Ausstellungsplakat "Tafelrunde" - man sieht ihn an der Stirnseite des Tisches, umgeben von seinen Malerfreunden. Im Hauptsaal der Secession zeigt Schiele 19 Ölgemälde und 29 zum Teil aquarellierte Zeichnungen. Die Ausstellung wird für ihn ein großer Erfolg; ein Großteil der Arbeiten kann verkauft werden, außerdem erhält er Porträtaufträge zahlreicher bekannter Persönlichkeiten. Für großformatige Arbeiten mietet er nun in der Wattmanngasse ein zweites Atelier.
Dem Höhepunkt folgt die Katastrophe. Obwohl Edith und Egon Schiele versuchen, isoliert zu leben, und alles tun, um einer Ansteckung zu entgehen, erkrankt Schieles schwangere Frau an der in Wien grassierenden "Spanischen Grippe", die weltweit Millionen Opfer fordert. Edith Schiele stirbt am 28. Oktober 1918, Egon drei Tage später, am 31. Oktober im Alter von 28 Jahren. Schieles Oeuvre umfasst 330 Gemälde und mehr als 3000 Arbeiten auf Papier.
Anton Peschka (1885 - 1940)
und Anton Peschka jun.
Egon Schiele wie auch sein bester Freund, der Malerkollege Anton Peschka, den er 1906 an der Akademie der bildenden Künste kennengelernt hat, leiden unter der konservativen Geisteshaltung ihres Professors Christian Griepenkerl. Die gemeinsame Ablehnung veranlasst sie zur Opposition und führt schließlich 1909, zusammen mit ähnlich gesinnten Kollegen, zum Austritt aus der Akademie und zur Bildung der "Neukunstgruppe". Diese Künstlergemeinschaft soll ihnen Freiheit im eigenen Schaffen, ohne akademische Doktrin, gewähren. Gemeinsame Reisen, wie die nach Krumau, und der gegenseitige Austausch von Erlebnissen und Erfahrungen in Gesprächen und Briefen waren ein wesentlicher Bestandteil ihrer Freundschaft.
Einige von Peschkas frühen Arbeiten erhalten durch Schiele eine starke Prägung. 1912/13 arbeitet Peschka im Atelier des Bühnenmalers Anton Brioschi. 1914 heiratet er Schieles Schwester Gerti. 1922 - 1938 ist Peschka Mitglied des "Hagenbundes" und schließt sich später der Salzburger Künstlervereinigung "Wassermann" an. Sein Sohn Anton Peschka jun. tritt in die Fußstapfen des Vaters und wird Maler, seine Ausbildung erhält er ebenfalls an der Akademie in Wien.